mongolische Reiche: Aus der Jurte auf den Thron

mongolische Reiche: Aus der Jurte auf den Thron
mongolische Reiche: Aus der Jurte auf den Thron
 
Das Weltreich
 
Zu Beginn des 13. Jahrhunderts brachte ein kleines Volk von Jägern und berittenen Hirtennomaden, beheimatet im Nordosten der heutigen Mongolischen Republik, die türkisch-mongolischen Stämme Zentralasiens unter seine Botmäßigkeit, unterwarf in den nachfolgenden Eroberungszügen die mächtigsten Kulturstaaten Asiens und drang schließlich bis weit nach Europa vor. Der Mann, der dieses Volk zum Sieg führte, hieß mit persönlichem Namen Temüdschin und trat unter seinem Titel Dschingis Khan in den Blickpunkt der Weltgeschichte.
 
Geboren im Jahre 1167 — nach anderer Überlieferung 1155 —, entstammte Temüdschin dem Klan der Bordschigid (»Wildentenleute«), unter dessen Führung bereits im 11. und 12. Jahrhundert eine Konföderation mit der Bezeichnung »Mongolenreich« entstanden war. Äußere Feinde und interne Uneinigkeit hatten die Gemeinschaft jedoch um 1160 wieder auseinander brechen lassen. Als Temüdschin, Nachfahre jener Reichsgründer, neun Jahre zählte, fiel sein Vater Yisügei einem Giftmord durch die feindlichen Tataren zum Opfer. Von allen Gefolgsleuten allein gelassen, brachte Temüdschins Mutter ihn und seine vier jüngeren Geschwister durch. Die bitteren Erfahrungen mit der Unbeständigkeit der Verwandtschaft, der Steppenpolitik und der stammesgebundenen Kriegführung prägten später Dschingis Khans Strategie und Organisation, die dem mongolischen Reich seinen einzigartigen Charakter gaben.
 
Es war dies zum einen der geschickte Einsatz traditioneller Mittel wie Heiratsverbindung, Patronage benachbarter Stammesfürsten, Allianzen durch Blutsbruderschaft (»anda«), vor allem aber die Gewinnung von Gefolgsleuten, deren Loyalität ausschließlich seiner Person galt; zum anderen waren dies bemerkenswerte Neuerungen: durch Leistung und Verdienst und nicht aufgrund herkunftsorientierter Kriterien zu Stellung und Ansehen zu kommen; den völligen Sieg über die Feinde anzustreben und nicht Beute letztendlich als Zweck eines Angriffs zu sehen; sich als alleiniger Oberherr die gesamte Kriegsbeute zu sichern und die Anteile nach Verdienst und Leistung — oder auch nach Gutdünken! — zu verteilen; das Prinzip der Fürsorgepflicht zur Anwendung zu bringen; schließlich die gewachsenen Strukturen der Klanföderationen und fremden Völkerschaften vermittels der geschaffenen Größe der Heeresorganisation zu integrieren. Durch all das — und nicht zuletzt auch durch die Ausschaltung sämtlicher konkurrierender Prätendenten der Bordschigid-Aristokratie — gelang Temüdschin zunächst die Einigung der mongolischen und die Kontrolle über die anderen mächtigen zentralasiatischen Stammesverbände. Anlässlich der Reichsversammlung im Frühling des Jahres 1206 gaben sie Temüdschin den Titel Dschingis Khan und erkannten ihn als Herrscher an.
 
Zunächst erweiterte Dschingis Khan das Heer auf 95 Tausendschaften und verstärkte die Elitetruppen der Wachen. Den ehemaligen Kanzler des angeschlossenen Türkvolkes der Naiman, Tatatungga, betraute er mit der Einführung der uigurischen Schrift für die mongolische Sprache. Verwaltungsaufgaben im neu geschaffenen Gemeinwesen übertrug er Fachleuten. Darüber hinaus ließ er ein Strafrecht ausarbeiten, das in Form eines Fallrechts Fragen im Zusammenhang mit Diebstahl, Betrug und Teilungsangelegenheiten betraf.
 
Der unmittelbare Anlass für die großen Feldzüge Dschingis Khans war wohl die prekäre Versorgungslage. Vor allem wegen der Fehden der zurückliegenden Jahre hatte der mongolische Viehbestand stark abgenommen, die geregelten Handels- und Tributbeziehungen mit dem Jinreich der tungusischen Dschurdschen in Nordchina (1115—1234) wie mit dem chinesischen Songreich in Südchina (1127—1279) waren abgerissen. Schließlich musste sich auch die neue Gesellschaftsordnung bewähren, sollte die Macht der Dschingisiden erhalten bleiben. Dschingis Khan besaß keinen festen Rückhalt in einer stammesgebundenen Hausmacht. Im Gegenteil, er hatte eine vielstämmige Elite über die Familie gestellt. Rückzug oder Stillstand wären zum politischen Risiko geraten. Seine Welt war die Steppe, die sesshaften Kulturen der Grenzregionen erschienen als nützliche Anhängsel. Nicht die Eroberung als solche war das Ziel, sondern Kriegszüge als Druckmittel, um die Versorgung und Unterstützung der Mongolen mit notwendigen und angenehmen Gütern sicherzustellen.
 
Abgesehen davon gab es aber auch unbestreitbare politische Gründe. Dschingis Khan konnte als sicher annehmen, dass der Jinherrscher sich mit den neuen Machtverhältnissen in der Steppe nicht abfinden würde. Die Kämpfe begannen 1211 und endeten 1217 mit einer vernichtenden Niederlage der Jin. Peking, damals eine der Hauptstädte des Jinreiches, fiel 1215, nicht zuletzt dank zahlreicher unzufriedener Jinuntertanen, die sich den Mongolen angeschlossen hatten. Im Herbst 1217 übertrug Dschingis Khan den Oberbefehl über das neu gewonnene Territorium einem seiner treuesten Gefolgsleute, Mukhali. Die lokale Verwaltung gab er in die Hände ehemaliger Jinbeamter und Chinesen, die mit den Gegebenheiten vertraut waren. Ein solches Vorgehen sollte auch in der Zukunft mongolische Praxis bleiben.
 
Die Erfolge der Mongolen in China hatten in Zentralasien Aufsehen erregt. Mohammed, Sultan des Reiches Charism (Choresmien) in Mittelasien und Iran (um 900—1231), schickte eine Gesandtschaft an Dschingis Khan, um Näheres über die militärische Stärke der Mongolen auszukundschaften. Sie wurden freundlich aufgenommen, denn der mongolische Großkhan war sehr an Handelsbeziehungen interessiert. Der Sultan hingegen sah in diesem einen Rivalen. So kam es, dass 1218 eine mongolische Handelskarawane in Otrar am Syrdarja, der Spionage beschuldigt, zu Tode gebracht wurde. Die Tötung von Gesandten galt jedoch noch stets als Kriegsgrund. Der Feldzug gegen Charism endete mit einem Sieg der Mongolen. Dank übergelaufener choresmischer und chinesischer Belagerungsexperten im Heer stellten befestigte Städte für die Mongolen kein unüberwindliches Hindernis mehr dar. Darüber hinaus verstärkten Fußtruppen aus den besetzten Gebieten die mongolische Kavallerie.
 
Mit der mongolischen Kavallerie konnte sich keine Armee der damaligen Zeit vergleichen. Zahlenmäßig zwar oft unterlegen, herrschte in ihr strengste Disziplin. Befehligt wurde sie von hervorragenden, Dschingis Khan bedingungslos ergebenen Anführern. In den eroberten Städten erhielten verdienstvolle mongolische Gefolgsleute das Amt des Gouverneurs als Vertreter des Herrschers; die lokale Verwaltung blieb erneut in Händen einheimischer Beamter. Im Frühjahr 1225 kehrte Dschingis Khan in die heimatlichen Weidegründe zurück, nachdem ihn der Westfeldzug über Afghanistan bis nach Peshawar geführt hatte. Ein letzter Angriff richtete sich dann gegen das Reich der Tanguten (chinesisch Xixia, 1038—1227) in Nordwestchina. Jene hatten sich geweigert, Hilfstruppen zu stellen. Xixia wurde vernichtet. 1227 starb Dschingis Khan, vermutlich infolge eines Sturzes vom Pferd, im Alter von 60 Jahren. Der Begräbnisort wurde bewusst unkenntlich gemacht.
 
 Das mongolische Großreich von Ögädäi bis Möngke (1229—59)
 
Das Reich erstreckte sich nach nur rund 30 Jahren nach Dschingis Khans Tod vom Pazifik bis fast zur Ostsee. Die Wahl des Nachfolgers war anlässlich der Reichsversammlung des Jahres 1229 auf Dschingis Khans dritten Sohn Ögädäi gefallen, im Einklang mit einer Bestimmung, die der Großkhan für den Fall seines Todes vor dem Westfeldzug selbst getroffen hatte. Ögädäi nannte sich nunmehr »Khagan« (Großkhan), während »Khan« für die Teilherrscher über die Lehnsgebiete stand. Zentrum des Reiches war Karakorum am Ufer des Orchon, von Dschingis Khan um das Jahr 1220 zur Hauptstadt erhoben. Ögädäi ließ sie prächtig ausbauen durch Handwerker aus aller Welt, unter ihnen auch ein gewisser Wilhelm Boucher aus Paris, der als Goldschmied, Bildhauer und Architekt für den Palast des späteren Großkhans Möngke einen goldenen Baum konstruierte, dessen schlangenförmige Äste unter Musikbegleitung die jeweils gewünschten Getränke spendeten. In Karakorum empfingen die mongolischen Herrscher Reisende und Gesandte aus aller Welt, auch aus Europa. Zwar sah man dort die Mongolen als ex tartaro — dem Höllenschlund entsprungen (daher die Bezeichnung »Tartaren«) —, aber doch auch als mögliche Verbündete gegen die islamischen Eroberer der heiligen Stätten in Jerusalem und nicht zuletzt als Handelspartner. Das von den Mongolen ausgebaute System der Relaispoststationen bot die Möglichkeit, Reisen in größere Fernen zu unternehmen als jemals zuvor. Einige der Gesandten und Kaufleute hinterließen der Nachwelt aufschlussreiche Augenzeugenberichte: Die Reisen von Giovanni del Pian del Carpini (1245—47), Wilhelm von Rubruk (1253—55) oder der Venezianer Niccolò, Maffeo und Marco Polo (1264/75) mögen hier als Beispiele stehen.
 
Die weiteren Feldzüge des Großkhans Ögädäi führten die Mongolen im Westen gegen Iran, die türkischen Kiptschak zwischen Irtysch und Donau und die Wolgabulgaren. Bereits 1223 waren die Mongolen zum ersten Mal auf Einheiten der russischen Fürstentümer gestoßen, am südrussischen Fluss Kalka (heute Kalez). 1237 überrannten sie Rjasan, Moskau, Rostow, 1240 wurde Kiew erobert. Unter Orda, Dschingis Khans ältestem Enkel, stieß ein Teil des Heeres siegreich bis Krakau vor, fegte über Breslau hinweg und vernichtete in der Schlacht auf der Walstatt bei Liegnitz ein vereintes Ritterheer unter Herzog Heinrich II. von Schlesien. Der andere Teil des mongolischen Heeres hatte 1241 am Sajó König Béla IV. von Ungarn besiegt. Da der Schlesieneinfall nur der Flankensicherung diente und Waldland für die Mongolen uninteressant war, wurde dieser Sieg nicht weiter verfolgt. Im Osten fiel 1234 das Jinreich endgültig.
 
1241 starb der Großkhan Ögädäi im Alter von 55 Jahren. Zunächst übernahm seine Hauptgemahlin Töregene als Regentin die Herrschaft. Sie ließ ihren ältesten Sohn Göjük auf der Reichsversammlung zum Großkhan ernennen. Nur dessen früher Tod (1248) verhinderte eine erste kriegerische Auseinandersetzung um die Nachfolge. Im Jahr 1251 gab dann der Senior der dschingisidischen Bordschigid, Batu Khan, den Ausschlag für Möngke, den ältesten Sohn des Tului — des jüngsten Sohnes Dschingis Khans —, als Großkhan. In Fortführung der Eroberungen teilte Möngke seine Streitmacht, und damit kam es auch zu einer ersten Teilung des Reiches: Hülägü, Tuluis dritter Sohn, wurde mit dem Westen betraut — Iran, Irak, Syrien —, der zweite Sohn Kubilai und Möngke selbst blieben im Osten, wo sie mit Erfolg gegen Songchina und Korea kämpften. Der jüngste der Brüder, Arik Böke, verblieb nach der mongolischen Tradition als Statthalter im Stammland Karakorum. Möngke starb 1259 im Alter von 51 Jahren.
 
Ohne die Zustimmung der wichtigsten Klanlinien ließ sich Kubilai daraufhin 1260 zum Großkhan ausrufen. Der folgende Machtkampf leitete dann das Auseinanderbrechen des Reiches ein. Aber auch eine weitere Veränderung wurde sichtbar: Arik Böke und alle »Konservativen« betrachteten die Steppe als Machtzentrum des Reiches. Die Besetzung von Städten und Ackerland war nützlich, ja notwendig, um an wichtige Versorgungsgüter zu gelangen, gehörte aber an die Peripherie. Für Kubilai und Hülägü hingegen lag der Schlüssel zur Macht in der Kontrolle über Nichtsteppengebiet. Der Einfluss der nomadischen Elite nahm hier ab, und es war die Steppe, die an die Peripherie geriet.
 
 Die Teilreiche Kiptschak, Tschagatai und das Ilchanat
 
Als am weitesten entfernt liegendes Gebiet war das Khanat Kiptschak nach mongolischer Tradition dem ältesten Sohn Dschingis Khans, Dschötschi (✝ 1227), zugesprochen worden. Es erstreckte sich über Südostrussland, reichte im Norden bis in die Nähe von Nowgorod und hatte seine Ostgrenze vom Aralsee bis ins westliche Irtysch-Tobol-Becken. Die Hauptstadt war Saraj an der unteren Wolga. Im Westen lag das Gebiet der russischen Fürsten, tributpflichtiger Vasallen der Mongolen. Nach den russischen Annalen hieß das Khanat Kiptschak auch »Goldene Horde« — von mongolisch »orda« (Heerlager) und dem Goldbesatz der Herrscherjurte. Von diesem Reich soll an anderer Stelle die Rede sein.
 
Das Khanat Tschagatai umfasste die Lehnsgebiete des zweiten Sohnes Dschingis Khans, Tschagatai (✝ 1242), und seines Bruders Ögädäi. Es erstreckte sich über die relativ abgelegenen Gebirge, Steppen und Wüsten Zentralasiens. Die unklaren Grenzen der Machtbereiche führten zu dauernden Streitigkeiten. Als Staatsgebilde war das Khanat Tschagatai den drei anderen nicht vergleichbar. Herkunftshierarchisch orientierte Klanpolitik bestimmte die Verhältnisse, im Wechsel von der Ögädäi- zur Tschagatailinie, bis es 1346 endgültig in zwei Teile zerfiel: einen transoxanisch-mittelasiatischen Südweststaat, in dem bis zur Eroberung durch Timur im Jahre 1370 türkische Emire herrschten, und in einen Nordoststaat, in dem zumindest die ersten Herrscher noch mongolischer Abstammung waren. 1462 zerfiel auch dieser Teilstaat in die Herrschaftsgebiete Kaschgar und Turfan.
 
Die Eroberungen des Gebiets, das wir mit Ilchanat (Ilkhanat) bezeichnen, gehen auf Dschingis Khans Enkel Hülägü (✝ 1265) zurück. Das Territorium reichte von Anatolien bis zum Schatt el-Arab am Persischen Golf, von Karatschi über Balkh bis zum Schwarzen Meer. Hauptstadt war Täbris. Nach dem Tod seines Bruders, des Großkhans Möngke, nannte Hülägü sich Il-Khan (»Friedensherrscher«). Dieses bedeutendste der mongolischen Teilreiche zeichnete sich aus durch seine Verbindungen zum lateinischen Westen, seine Heiratspolitik mit Byzanz, seine Handelsbeziehungen mit Genua und Venedig, die prägenden Einflüsse von Christentum und Islam, die Förderung von Kunst und Wissenschaft. Auf dem Gebiet der Kultur ragt der Name des jüdischen Arztes und Gelehrten Raschid od-Din (1247—1318), Erster Minister unter drei Khanen, besonders heraus. Seiner Enzyklopädie »Sammler der Geschichten« verdanken wir viele der verlässlichsten Nachrichten über die frühen Mongolen. In der Mitte des 14. Jahrhunderts versank das Ilchanat im Bürgerkrieg.
 
 Die Sonderstellung des Khanats China (Yuan-Khanat)
 
Das Khanat China war das einzige, in dem die Mongolen dank eines weitgehend neben der einheimischen Bevölkerung geführten Lebens als eigenständige Größe erhalten blieben. Die mongolische Führungsschicht der folgenden Zeit führte ihre Abstammung sämtlich über die Yuanherrscher auf Dschingis Khan zurück. Kubilai, Sieger in der Auseinandersetzung mit Arik Böke um die Nachfolge von Großkhan Möngke, war de facto nur Herrscher über das Khanat China und das Stammland. 1271 gab er seiner Herrschaft den Dynastienamen Yuan (Uranfang). Zwischen 1267 und 1272 ließ Kubilai seine neue Hauptstadt Daidu (Peking) ausbauen. 1279 unterwarf er die verbliebene chinesische Dynastie der Südlichen Song, wodurch ganz China unter mongolische Herrschaft kam. Wie in den anderen Teilreichen behielt der Herrscher auch im Yuan-Khanat die zentrale, autoritäre Kontrolle an der Spitze. Die Provinzen des Reiches unterstanden Stellvertretern des Khans, denen die lokale Verwaltung verantwortlich war. Mongolische Garnisonen sorgten für die Kontrolle. Wohl schaffte es Kubilai dank seiner Persönlichkeit, die beiden so gegensätzlichen Kulturen Chinas und der Steppe in politischer Stabilität zu halten, eine dauerhafte Synthese gelang jedoch nicht. Nach seinem Tode 1294 kam es in der mongolischen Führungsschicht zu Cliquenbildungen sowie zu Staatsstreichen und Morden. Dies begünstigte eine zunehmende Resinisierung in Führung und Verwaltung des Reiches. Unter den in der Folge zahlreich auftretenden Kriegsherren blieb im Süden schließlich Zhu Yuanzhang siegreich und wurde als Taizu Kaiser (1368—98), der erste Herrscher der neuen chinesischen Mingdynastie. Die Mongolen kehrten in die Steppe zurück und nahmen dort ihr altes Leben wieder auf.
 
 Rückkehr zu imperialen Konföderationen
 
Die Schwäche des mongolischen Weltreiches lag nicht nur in der ungeheuren Ausdehnung und der geringen Anzahl der Mongolen, sondern auch in der unzulänglichen institutionellen Basis. Es gelang nicht, eine dauerhafte Identifizierung mit den zivilen Institutionen des jeweiligen eroberten Gebietes zu erreichen und den militärisch-kolonialistischen Charakter der Regentschaft zu verändern. Von Dschingis Khans einzigartigem Versuch eines Staates auf nichtföderativer Grundlage blieb der Anspruch seiner Familie auf die Erblichkeit der Würde des Großkhans aller Mongolen. Es gab aber noch keine Auffassung von Nation, die vom Volke ausging, das Konzept blieb ein aristokratisches, das lediglich das Verhältnis Herrscher-Gefolgsleute-Beherrschte sah. Somit kehrten die Mongolen zum alten Modell der Reichsbildung in der Steppe zurück, der imperialen Konföderation. Im Stammland erwartete die aus China 1368 eintreffenden Mongolen zunächst kein freundlicher Empfang durch die dort verbliebenen Stämme und Klane, vor allem die Angehörigen der Linie Arik Böke (✝ 1266), den sein Bruder Kubilai seinerzeit ausmanövriert hatte. Die zeitgenössischen Chroniken berichten von blutigen Fehden; ein einigermaßen geordnetes Gemeinwesen schien in weite Ferne gerückt.
 
Die mongolischen Expansionskriege hatten kaum einen Stamm dort belassen, wo er ursprünglich beheimatet war, so auch das westmongolische Waldvolk der Oiraten. Sie waren von ihren angestammten Wohnsitzen westlich des Baikalsees in das Gebiet des Tienschan gezogen. Nun begannen sie ihre Einflusssphäre auszuweiten und gerieten bald mit den Ostmongolen in Konflikt. Diese hatten ihrerseits immer wieder Razzien in ihr früheres Herrschaftsgebiet China durchgeführt, vorwiegend um günstige Handelsbeziehungen zu erlangen, weshalb sich der 1402 bis 1424 regierende chinesische Kaiser Chengzu zu einer Reihe von unterschiedlich erfolgreichen Strafexpeditionen gegen sie genötigt sah. Die Oiraten nutzten diese Situation, um die Vormacht zu gewinnen.
 
Ihr Anführer Togon, dessen Mutter die Tochter des dschingisidischen Großkhans Elbeg (✝ 1401) war, rief sich 1434 selbst zum Großkhan der Mongolen aus. Da er jedoch nicht in der männlichen Linie von Dschingis Khan abstammte, betrachteten die Ostmongolen seinen Schritt als widerrechtlich. Nach Togons Tod 1440 führte sein Sohn Esen die Oiraten zum Höhepunkt ihrer Macht. Sein Herrschaftsgebiet erstreckte sich von Hami im heutigen Sinkiang bis zu den mandschurischen Gebieten im Osten. 1453 rief sich auch Esen zum Großkhan aus; er konnte sich aber ebenfalls nicht lange halten und fiel 1455 einem Mord zum Opfer. Es folgten erneut Jahre der Wirren und blutigen Fehden.
 
Die Rückkehr der dschingisidischen Ostmongolen an die Macht erfolgte unter Batu Möngke Dayan Khan (1470—1543). Er beendete die Fehden und brachte die mongolischen Stämme zur Gefolgschaft. Auch im Hinblick auf China waren seine militärischen Unternehmungen erfolgreich. 1532 konnte er Friedensverhandlungen fordern und den vorteilhaften Status eines Tributbringers — damit verbunden waren reiche Geschenke und das Privileg, Handel zu treiben — für sich erlangen. Dayan gelang es aber nicht, eine zentrale Macht im Inneren aufzubauen, die die Stämme in der Steppe auf Dauer hätte kontrollieren können. Nach seinem Tode wurde dies sofort deutlich: Der Titel des Großkhans bestand zwar fort, aber die mongolischen Völkerschaften fielen als Patrimonien (väterliches Erbgut) an die elf Söhne Dayan Khans. Es kam zu einer zunehmenden feudalen Zersplitterung.
 
Zu den bedeutendsten der regionalen Herrscher zählten die vier Khane der Chalcha (Khalkha) sowie Altan, Khan der Tümed. Das Chalchagebiet, Patrimonium des jüngsten Dayan-Sohnes Geresendsche (✝ 1549), entsprach etwa dem Territorium der heutigen Mongolischen Republik. Dort bildeten sich vier Khanate heraus, die als Verwaltungseinheiten bis 1924 bestehen sollten. Die Macht im Süden von Chalcha lag in Händen Altan Khans (1507—83), eines Enkels von Dayan und Herrschers über den Stamm der Tümed. Aufgrund seiner Seniorität und seiner Fähigkeiten wurde er, obwohl nicht Großkhan der Erbfolge nach, als das eigentliche Oberhaupt der Mongolen angesehen. Im geschickten Wechsel von Diplomatie und Krieg gelang es ihm, Handelsbeziehungen mit China aufzubauen, besiegelt durch einen Vertrag 1570/71. 1560 hatte er Köke-khota, das heutige Hohhot, die erste feste mongolische Stadt der neueren Zeit, gegründet. Altan Khan förderte Ackerbau und Handwerk, unterstützt von chinesischen Flüchtlingen. Auch mit einer geistigen und kulturellen Erneuerung der Mongolen durch die Wiederbelebung des Lamaismus, der tibetischen Form des Buddhismus, steht Altan Khans Name in Verbindung. 1578 lud er den höchsten Repräsentanten des Gelugpa-Ordens nach Köke-khota ein und verlieh ihm den Titel »Dalai-Lama«. Die Inkarnationsreihe der Dalai-Lamas ist also ursprünglich eine mongolische Schöpfung, die sich in Tibet jedoch eigenständig weiterentwickeln sollte.
 
 Der Anspruch neuer Mächte auf die Vorherrschaft
 
Dass allerdings auch Altan Khans Position eines Führers der Mongolen persönlich bedingt war, zeigt das Schwinden des Einflusses der Tümed nach seinem Tode 1583. Die seinerzeit vor Altan Khan nach Liaodong ausgewichenen Tschakhar, die der Herrschaft des nominellen Großkhans unterstanden, waren in den neuen Weidegründen wieder erstarkt und begannen nun ihrerseits, Führungsansprüche geltend zu machen. Inzwischen war jedoch eine weitere Macht ins Spiel gekommen, die der tungusischen Mandschu, Nachfahren jener Dschurdschen, deren Jinreich in Nordchina die Mongolen erobert hatten. Nach dem Verlust ihrer Herrschaft hatten sie als Jäger, Fischer, Ackerbauern und Viehzüchter in den alten Stammesgebieten um den Yalu gelebt. Unter der Führung Nurhachis schlossen sich die Stämme zusammen und bildeten 1616 den Staat Aisin. Im Gebiet von Liaoning kämpften somit zu Beginn des 17. Jahrhunderts drei Kräfte um die politisch-territoriale Vorherrschaft: das Tschakhar-Khanat des Ligdan Khan, Nurhachis neuer Dschurdschenstaat und das China der Ming. Einem jeden ging es zunächst um die Kontrolle der noch nicht gebundenen mongolischen Völkerschaften. Ligdan zeigte sich dabei als unnachgiebiger Verfechter eines gesamtmongolischen Herrschaftsanspruchs als Großkhan. Er strebte sein Ziel jedoch — nach anfänglichen Erfolgen — in zunehmendem Maße mit Rücksichtslosigkeit und Gewalt an, sodass die Mittel, mit denen er die Stämme zu halten suchte, sie nur umso schneller vertrieben. Der mandschurische Herrscher erschien jenen als weit besser geeigneter »Großkhan«, der ihnen Schutz und Anteil am Kriegsglück versprach, und so schlossen sich die mongolischen Stämme in der Mehrzahl ihm als Verbündete an. 1632 musste Ligdan vor den heranrückenden mandschurischen Truppen, in deren Reihen bereits mongolische Abteilungen mitmarschierten, nach Westen fliehen, mit ihm etwa 100000 Tschakhar, Männer, Frauen und Kinder. Sie zogen in das Qinghaigebiet, wo Ligdan 1634 starb. Die zurückkehrenden Tschakhar, einschließlich Ligdans Familie, fielen Nurhachis Sohn in die Hände. Dieser zeigte sich großmütig und verheiratete eine seiner Töchter erst mit dem älteren und nach dessen Tod mit dem jün- geren Sohn Ligdans. 1669 wurde dieser der geplanten Rebellion beschuldigt und in Mukden eingekerkert. Sein Sohn bot Truppen auf, um den Vater zu befreien, konnte jedoch gegen die mandschurischen Verbände nicht bestehen. Mit seinem Tode erlosch die ältere Linie der Tului-Bordschigid im Mannesstamm. Eine Forderung nach Weitergabe des Erbanspruchs auf die mongolische Großkhanwürde wurde danach von keiner der anderen Linien mehr erhoben.
 
Prof. Dr. Veronika Veit
 
Weiterführende Erläuterungen finden Sie auch unter:
 
Mongolensturm und Goldene Horde: Blutige Morgenröte über Russland
 
 
Bezzola, Gian Andri: Die Mongolen in abendländischer Sicht. (1220-1270). Ein Beitrag zur Frage des Völkerbegegnungen. Bern 1974.
 
Die geheime Geschichte der Mongolen, herausgegeben von Walther Heissig nach der Übersetzung von Erich Haenisch. Düsseldorf u. a. 1981.
 
Geheime Geschichte der Mongolen. Herkunft, Leben und Aufstieg Činggis Qans, herausgegeben von Manfred Taube. Leipzig u. a. 1989.
 
Die Mongolen. Beiträge zu ihrer Geschichte und Kultur, herausgegeben von Michael Weiers u. a. Darmstadt 1986.
 Morgan, David: The Mongols. Oxford 1986. Nachdruck Oxford 1990.
 Rachewiltz, Igor de: Papal envoys to the great Khans. London u. a. 1971.
 Ratchnevsky, Paul: Činggis-Khan. Sein Leben und Wirken. Wiesbaden 1983.
 Rossabi, Morris: Khubilai Khan. His life and times. Berkeley, Calif., 1988.
 Rubruk, Wilhelm von: Reise zu den Mongolen 1253-1255. Übersetzt und erläutert von Friedrich Risch. Leipzig 1934.
 Spuler, Bertold: Die Goldene Horde. Die Mongolen in Rußland 1223-1502. Wiesbaden 21965.
 Spuler, Bertold: Die Mongolen in Iran. Politik, Verwaltung und Kultur der Ilchanzeit 1220-1350. Berlin-Ost 41985.

Universal-Lexikon. 2012.

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